Technikphilosophie

Der alpine Skirennsport ist als eine Sportart einzustufen, in der neben umfangreichen konditionellen und psychischen Anforderungen technomotorische Elemente eine wichtige Rolle spielen. Daher entscheidet in erster Linie das Beherrschen der sportlichen Technik über den Erfolg. Daraus ergibt sich automatisch das Problem der Identifikation und darauf aufbauend der Vermittlung der optimalen Technik im Verlaufe des Trainingsprozesses. Gerade in den letzten Jahren sah es zumindest so aus, als ob es unterschiedliche "Techniken" gibt, die zum Erfolg führen und damit das Schlagwort der "Individualisierung" der Skitechnik wieder in den Mittelpunkt der Diskussion über die "richtige Technik" rücken.

Der Deutsche Skiverband hat sich in den vergangenen Jahren große Mühe gegeben diese "richtige Technik" herauszuarbeiten, im Technikleitbild möglichst exakt zu beschreiben und dann durchgängig in allen Lehrgangsgruppen zu vermitteln. Trotzdem gelang es nur selten, Talente an die Weltspitze zu bringen und dort zu etablieren. Gründe sind unter anderem darin zu suchen, dass es offensichtlich noch nicht hinreichend gelungen ist, das Verständnis für die unverzichtbaren Merkmale von denen zu unterscheiden, die individuell unterschiedlich sein können. Außerdem liegen im Bereich der mit der Technik zu verbindenden Konditionsarbeit noch viele Herausforderungen. Jeder kennt aus seiner Arbeit mit Athletinnen und Athleten das Phänomen, dass Sportler nach mehrwöchiger oder mehrmonatiger Trainingspause (z. B. nach Verletzungen) zurückkommen und oft besser fahren als vorher. Daneben ist immer wieder festzustellen, dass junge Athleten in unsere Kader aufgenommen werden, die durch ihren Willen schnell zu sein aus der Masse herausstechen. Man unterstellt ihnen großes Potential, doch nach ein bis zwei Jahren gehen auch diese Sportler, ihrer "sportlichen Persönlichkeit" beraubt, im oft mittelmäßigen Einheitsbrei der Gruppen unter.

Für die Diskussion des Techniktrainings müssen zudem wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigt werden, die relevant sind. Die nachfolgend vorgestellte Untersuchung verdeutlicht klar die Problematik im Techniktraining: Die Versuchspersonen in dieser Studie hatten die Aufgabe, mit größtmöglicher Amplitude und Frequenz auf einer Vorrichtung, das dem Trainingsgerät "Skiers’s Edge" sehr ähnlich ist, zu schwingen (Abb. 1 TM).

Der Versuch sah vor, dass eine Gruppe Instruktionen erhält, die andere nicht. Es wurden 20 Versuche à 90 Sek. an 3 Tagen durchgeführt. Die Ergebnisse sind in Abb. 2 TM dargestellt.

Um den Einfluss des Techniktrainings weiter zu beleuchten, trainierte eine dritte Gruppe unter der Vorgabe mit maximaler Amplitude und Frequenz zu schwingen 3 Tage allein. Am 4. Tag bekamen sie eine Instruktion. Das Ergebnis ist in Abb. 3 TM dargestellt. Die Ergebnisse sprechen für sich und zeigen, dass Instruktion das Erlernen einer neuen Bewegung nicht zwangsläufig fördert, sondern sich sogar negativ auf die geforderte Leistung auswirken kann. Folglich ist es wichtig, im täglichen Techniktraining sorgfältig und bewusst mit Anweisungen umzugehen.

Ziel dieses Kapitels ist es einerseits, die etablierte Arbeitsweise zu hinterfragen, und andererseits innovative Strategien im Techniktraining vorzustellen, die es dem Trainer ermöglichen, durch seine Handlungen und Instruktionen das Erlernen von Bewegungen positiv zu beeinflussen. Darüber hinaus soll deutlich gemacht werden, dass die Trainingsarbeit mit unseren jungen Talenten, nicht nur die Optimierung der sportlichen Technik, sondern vor allem die Entwicklung einer eigenen sportlichen Persönlichkeit zum Ziel hat. Die aufgezeigten Probleme lassen keinen Zweifel daran, dass in gewissen Bereichen des Techniktrainings ein Umdenken nötig ist, um systematischer und planbarer zum Erfolg zu kommen. 
Es wird daher bewusst nicht versucht, Skifahren in Form eines Technikleitbildes zu beschreiben, sondern vielmehr heraus zu arbeiten, wie Skirennfahren unter Berücksichtigung der besonderen Zielstellung und in unterschiedlichen Situationen funktioniert. Darauf aufbauend werden bewegungstechnische Lösungen vorgestellt, mit denen die spezifischen Anforderungen gelöst werden können. 
Im ersten Schritt wird die Analyse der sportlichen Bewegungstechnik im Rahmen des Aufgaben- und Anforderungsprofils des alpinen Skirennsports erstellt.