Kurvenfahrt

Dynamisches Gleichgewicht, Fliehkraft

Bei der Kurvenfahrt kommt zusätzlich die Zentrifugalkraft, auch Fliehkraft genannt, als neue Trägheitskraft ins Spiel. Sie wirkt radial nach außen, also senkrecht zur Bewegungs­richtung in der Bewegungsebene und treibt den Sportler aus der Kurve heraus. Um auf der Kurvenbahn zu bleiben, muss er der Fliehkraft widerstehen. Beim Geradeausfahren bleibt man im Gleichgewicht, wenn die Hangabtriebskraft zwischen die Ski zeigt. Um beim Kurvenfahren das dynamische Gleichgewicht zu erhalten, muss der Sportler versuchen, die aus Hangabtriebskraft, Luftwiderstand, Reibungskraft und Fliehkraft resultierende Kraft innerhalb seiner Unterstützungsfläche (zwischen den Ski) zu halten.

Ist die resultierende Kraft außerhalb der Unterstützungsfläche, entsteht ein Kippmoment, das entweder nach innen oder nach außen wirkt. Wird dieses auf Dauer zu hoch, verliert der Sportler sein Gleichgewicht und stürzt. Eine offenere Beinstellung vergrößert die Unterstützungsfläche und führt damit zu einer größeren Stabilität.
 

Fliehkraft

Die Fliehkraft (Zentrifugalkraft) berechnet sich aus der Masse des Sportlers samt Ausrüstung, der momentanen Fahrgeschwindigkeit und dem momentanen Radius als:

Fz = m * v2 / r mit

m: Masse des Sportlers samt Ausüstung

v: momentane Geschwindigkeit und

r: momentaner Radius

Sie wird größer bei zunehmender Geschwindigkeit und abnehmendem Radius. Im Skirennlauf treten beim RS oder SG Fliehkräfte bis zu dem mehr als Dreifachen des Körpergewichts auf (vgl. Tab. 4 BM). Auf die daraus folgenden Belastungen wird später eingegangen.

Mittelwert (Max)          a [g]           F[N]

SG Männer [95 kg]     1,1 (2,5)    1516 (2456)

SG Frauen [75 kg]      1,2 (2,6)    1314 (2347)

RS Männer [85 kg]      1,3 (2,8)    1565 (2837)

RS Frauen [70 kg]       1,3 (3,1)    1319 (2668)

Tab. 4 BM - Radialbeschleunigung und Bodenreaktionskräfte im Skirennlauf (Huber/Waibel/Spitzenpfeil ICSS 2007)

 

Kurvenfahrten mit taillierten Ski – Skimodelle

Skimodelle sind Miniaturen mit zwei Ski, welche über ein starres Parallelogramm verbunden sind und die grundlegende Erklärungsmodelle über das Bedingungsgefüge zum Kurvenfahren liefern. Die beispielsweise von Zehetmayer (1989) vorgestellten Modelle können auf einer schiefen Ebene mehrere Schwünge hintereinander ausführen, ohne dass Streckkräfte von innen wirken. Durch die unterschiedliche Position von Skimittelpunkt als Drehpunkt und dem Schwerpunkt als Kraftangriffspunkt ergibt sich ein Drehmoment um die Längsachse. Dieses lässt das Gesamtsystem langsam um die Kurve driften. Gleichzeitig erzeugt die Taillierung der Ski eine Querkraft längs dieser Taillierung, die bewirkt, dass sich die Ski entlang dieser Taillierung bewegen. Fährt das Skimodell entlang dieser Taillierung wird durch das Einwirken der Hangabtriebskraft die Fliehkraft erhöht. Der Schwerpunkt des Modells wird nach außen gedrückt, angehoben und das Parallelogramm kippt schließlich auf die neue Kante. Es fährt eine Kurve in die neue Richtung und der Vorgang wiederholt sich. Dies bedeutet, dass das System Ski-Sportler von äußeren Kräften gedreht werden kann. Innere Kräften wirken zunächst hier nur exzentrisch. Durch den Einsatz von weiteren inneren Kräften kann man die Situation zum Kurvenfahren positiv für sich gestalten.

Reibungsminimierung beim Kurvenfahren

FR = m * g * u * cos a

Neben den schon beim Geradeausfahren beschriebenen Aspekten kommt beim Kurvenfahren das Minimieren von Driftanteilen hinzu. Erreicht wird dies durch die situationsangepasste Biegung moderner taillierter Ski.
 

Taillierung und Radius

Die Taillierung und der Radius eines Skis sind folgendermaßen definiert:

Taillierung: sc = (S + H - 2W) / 4 und

Radius: r = (L2 cos O) / 2(S + H - 2W) = (L2 cos O) / (8 * sc)

mit:

S = Breite Skispitze

H = Breite Skiende

W = Breite Skimitte

L = Skilänge

O = Kantwinkel

 

Dies bedeutet für den Radius eines Skis, dass er kleiner wird, wenn

  • der Aufkantwinkel größer wird,
  • der Ski bei gleicher Taillierung kürzer wird, oder
  • die Taillierung bei gleicher Skilänge größer wird.
     

Veränderung des Radius

Für den Skirennläufer von Interesse sind die Möglichkeiten, die er zur Veränderung der Radien zur Verfügung hat:

  • Vergrößerung/Verringerung des Aufkantwinkels
  • Verstärkung/Reduzierung des Drucks
    • durch Heben oder Senken des Körperschwerpunkts
    • durch Gegenhalten oder Nachgeben der äußeren Kräfte
  • Erzeugung eines zusätzlichen Biegemoments durch Gewichtsverlagerung vor-rück
     

Kantwinkel

Als Kantwinkel wird der Winkel zwischen Schneeoberfläche und Ski bezeichnet.

Ein zusätzliches Aufkanten der Ski ermöglicht eine stärkere Durchbiegung und damit eine Verringerung der Radien über die ursprüngliche Taillierung hinaus (vgl. Abb. 10 TM).

Dies ist aber nicht beliebig möglich, sondern der Kantwinkel muss im Einklang mit Geschwindigkeit und Körperschwerpunktlage so gewählt werden, dass die resultierende Kraft in der Unterstützungsfläche bleibt. Bewegungsbeispiele sind das Kniekippen/Unterschenkelkippen oder auch das Kippen der Beine gegen den Oberkörper in der Hüfte. Begrenzt wird diese Handlungsmöglichkeit, wenn der Skischuh den Schnee berührt.

Für die zusätzliche Durchbiegung ist aber ein entsprechender Druck erforderlich. Dieser entsteht entweder aus den Fliehkräften, es werden die äußeren Kräfte ausgenutzt, er kann aber auch willentlich durch eigene Bewegungen gestaltet werden.
 

Verstärkung des Drucks

Durch das Beugen und Strecken der Sprung-, Knie- und Hüftgelenke kann der Sportler seinen Körperschwerpunkt heben und senken. Der Sportler variiert durch das Hoch- und Tiefgehen die Belastung auf die Ski. Zur weiteren Durchbiegung ist ein erhöhter Druck auf die Ski nötig. Dies ist durch zwei Aktionen möglich:

  • Heben des Körperschwerpunktes: Druckerhöhung bei Beginn der Bewegung bis Erreichen der maximalen Hebegeschwindigkeit oder
  • Senken des Körperschwerpunktes: Druckerhöhung bei Abbremsen der Senkgeschwindigkeit
     

Erzeugung eines zusätzlichen Biegemoments

Durch Bewegungen entlang der Skilängsachse lässt sich die Taillierung auf verschiedene Arten verändern (vgl. Abb. 11 TM).

  • Durch Gewichtsverlagerung nach vorne nimmt der Druck im vorderen Teil der Ski zu: Die Durchbiegung des vorderen Skiteils wird verstärkt und der Griff der Kante im diesem Bereich wird erhöht.
  • Durch Gewichtsverlagerung nach hinten nimmt der Druck am Skiende zu: Die Durchbiegung des hinteren Skiteils wird verstärkt und damit der Radius des Skis im hinteren Teil verkürzt.

Eine Verlagerung der Belastung nach vorne erleichtert dem Ski das Einfahren in die Kurve. Durch die leichte Verlagerung nach hinten kann der Radius nochmals verkürzt werden, um der Situation angepasst die Qualität der Schwungsteuerung zu optimieren. Gleichzeitig wird damit auch das dynamische Potential moderner Carving-Ski ausgenutzt.

Wenn die Belastung hinten bleibt, wird die Steuerbarkeit des Skis bei der Initiierung des nächsten Schwungs erschwert. Deshalb sollte der Körper im Schwungwechsel wieder in eine neutrale Position und darüber hinaus bewegt werden.

Der „geschnittene Schwung“  (variable Verfügbarkeit aller Möglichkeiten der Radiusveränderung)

Dargestellt ist der Verlauf einer Fahrt durch einen Super-G. Der Start des in der Grafik dargestellten Kurses befindet sich unten links, das Ziel wird nach 14 Toren erreicht.

Die gleiche Fahrt: Der gemessene Verlauf der Geschwindigkeit (schwarz), der momentanen Radien (rot) und der momentanen Krümmung (blau) bei der Kurvenfahrt:

Man erkennt, dass eine Kurvenfahrt beim Skifahren in den meisten Fällen keine Hintereinanderreihung von konstanten Radien (d. h. Kreisbahnen) ist, sondern dass sich die Radien zu jedem Zeitpunkt ändern. Beim Umkanten ist der Radius unendlich groß (Geradeausfahrt/die rote Kurve in der Grafik geht gegen unendlich und verschwindet am oberen Bildrand), er wird im Schwungverlauf kleiner bis Erreichen eines oder mehrerer Minima und wird dann wieder größer bis zum nächsten Kantenwechsel.

Dies verlangt vom Skirennsportler, dass er, um seine Rutsch- und Driftanteile klein zu halten, auch permanent den Radius seiner Ski anpassen muss. Dies wird ihm besser gelingen, je mehr „Auswahl“ er hat und je variabler er über die verschiedenen Möglichkeiten der Radiusveränderung verfügen kann (vgl. Bewegungslernen Techniktraining).
 

Optimierung der Druckverteilung innen/außen

Um bei der Kurvenfahrt die Reibung zu minimieren ist es außerdem wichtig, die auftretenden Kräfte auf eine möglichst große Fläche zu verteilen. Da der gekantete Ski nur eine relativ geringe Auflagefläche entlang der Kante bietet, ist es situationsangepasst von Vorteil die auftretenden Kräfte auf beide Ski zu verteilen. Die gleiche Kraft auf eine größere Fläche verteilt bedeutet geringeren Druck und damit eine geringere Eindringtiefe (und folglich Reibung) in den Schnee/Untergrund.
 

Luftwiderstand verringern

FL = cw * A * P/2 * v2    

Es gelten die gleichen physikalischen Voraussetzungen wie bei der Geradeausfahrt, d. h. dass auch hier die im Wind stehende Körperoberfläche verkleinert werden sollte. Analoges gilt für die Minimierung des Widerstandsbeiwertes durch Optimierung der Ausrüstung (Anzug, Helm, Schuhe, Ski, etc.) und durch Optimierung der Körperhaltung.
 

Passive Beschleunigung - Hangabtriebskraft optimal nutzen

FH = m * g * sin a * sin b

Der Einfluss des Schrägfahrwinkels führt zum Phänomen der Brachistochrone:

Zwischen zwei in verschiedener Höhe gelegenen Punkten P1 und P2 ist eine Verbindungskurve derart zu bestimmen, dass die Zeit, die ein Teilchen unter dem Einfluss der Schwerkraft bei Vernachlässigung der Reibung braucht, um von P1 zu P2 zu gelangen, minimal wird (Johann Bernoulli, 1696).

Als Lösung dieses Problems ergibt sich eine sogenannte „umgestülpte Zykloide“ (vgl. Abb. 13 BM). Ein Videobeispiel findet sich unter https://www.youtube.com/watch?v=li-an5VUrIA.

 

Fährt ein Skirennläufer entlang dieser Kurve ist er schneller am zweiten Punkt und die Geschwindigkeit am zweiten Punkt ist (bei reibungsfreier Rechnung) in beiden Fällen gleich groß. Durch vermehrtes Ausnützen der Hangabtriebskraft mit weniger Schrägfahrt wird der Sportler höher beschleunigt, erreicht damit schneller eine höhere Geschwindigkeit und gleicht dadurch die Nachteile eines weiteren Weges mehr als aus (vgl. Abb. 15 TM).
 

Aktive Beschleunigung – Drehimpulserhaltungssatz

Wie beim Durchfahren eines Wellentals (Senke) kann vom Skirennsportler auch die Kurvenfahrt zur aktiven Beschleunigung seines Körperschwerpunktes ausgenutzt werden. Physikalischer Hintergrund ist wieder der Drehimpulserhaltungssatz

L = I * w = const (siehe Wellental)

Um diesen Effekt beim Kurvenfahren zu nutzen, muss der Skirennfahrer durch Verlagerung des Körperschwerpunktes zum Kurvenmittelpunkt hin den Radius verringern (vgl. Abb. 14 BM).

 

Dies benötigt allerdings Verschiebearbeit, die durch muskuläre Kräfte erzeugt werden muss (vgl. Abb. 18 TM). Eine Beispielsrechnung veranschaulicht die Höhe der zusätzlichen Kräfte und des zusätzlichen Energiebedarfs:

Im Riesenslalom, bei einer Geschwindigkeit von v1 = 20 m/s = 72 km/h und einem Radius von r1 = 30 m, bewegt der Skirennläufer seinen Körperschwerpunkt 20 cm in Richtung Kurvenmittelpunkt. Dies bewirkt mit v2 = (r1 / r2) * v1 eine Geschwindigkeitserhöhung von 0,5 km/h. Die dafür notwendige zusätzliche Arbeit entspricht einem Sprung mit einer Sprunghöhe von 27 cm [Mittelwert Sprunghöhen der Athleten im Jahr 2006 43,1 cm bzw. 30,4 cm Damen]. Es ist zu beachten, dass es sich dabei um eine zusätzliche Arbeit handelt, die einem Sprung mit Zusatzlast entsprechen würde.