Theoretische Lernansätze

In der Literatur existieren zahlreiche Theorien zum motorischen Lernen. Im Wesentlichen lassen sich die unterschiedlichen Ansätze nach zwei gegensätzlichen Herangehensweisen unterscheiden. Zum einen spricht man von "motor approaches" (motorischen Ansätzen), zum anderen von "action approaches" (Handlungsansätzen).

 

Motor approaches

Die meisten traditionellen Ansätze lassen sich den "motor approaches" zuordnen. Sie gehen von einer programmierten Bewegungsregulation aus. Das bedeutet, dass das Gehirn für jede Bewegung bereits ein Programm gespeichert hat, das die Bewegung strukturiert, bevor sie beginnt. Das Bewegungsverhalten läuft also ähnlich einem einer programmierten Maschine ab. Dadurch kann der gesamte Bewegungsablauf unbeeinflusst von der Rückmeldung aus den Analysatoren der Sensorik (Auge, Ohr, Haut, Gleichgewichtsorgan, kinästhetische Analysator) vollzogen werden. Diese vereinfachte Betrachtungsweise führt zu klassischen Steuerungsmodellen.

Das vereinfachte Modell der Bewegungssteuerung läuft nach folgendem Schema ab:
 

Zielvorgabe Programmierung Steuerung Bewegungsausführung

Zunächst ging man davon aus, dass jeder Bewegung ein separates Programm zugeordnet sei. Dies führt bei einer unbegrenzten Anzahl an Bewegungen jedoch unweigerlich zu einem Speicherproblem. Auch werden im vereinfachten Modell die für Bewegungen wichtigen Rückmeldeprozesse nicht berücksichtigt. Als bekanntestes Modell, welches eben diese Rückmeldeprozesse hinzunimmt, gilt das kybernetische Regelkreismodell. Durch die Auswertung von Rückmeldungen (Afferenzsynthese) können sowohl Veränderungen im motorischen Gedächtnis vorgenommen als auch die Programmierung selbst verändert werden.

Es wird angenommen, dass im Lauf des Lernprozesses einerseits die Bewegungsausführung durch externe Störfaktoren immer weniger beeinträchtigt, andererseits der Einfluss der Afferenzsynthese und des motorischen Gedächtnisses auf die Programmierung und den Soll-Ist-Vergleich stärker wird.

Störfaktoren beim Skisport sind vor allem die Umgebungsbedingungen. Eisige Pisten, schlechte Sicht etc. wirken sich meist negativ auf die Bewegungsausführung aus. Je länger und besser ein Sportler die Bewegungen gelernt hat, desto weniger wirken sich diese Störfaktoren aus.

Auch der Verlust an die Umwelt fällt beim Einsteiger verhältnismäßig groß aus. Er agiert sehr unökonomisch, benötigt viel Kraft, um z. B. den Ski zu drehen und macht viele unnötige Aktionen. Im Gegensatz dazu kann der Könner die Umwelt nutzen, indem er beispielsweise einen Geländeübergang in den Kurvenwechsel einbaut.

In der Unterrichtspraxis äußert sich die Orientierung an den klassischen Lernmodellen meist in methodischen Übungsreihen, die auf folgenden Grundsätzen aufgebaut sind:

  • Vom Leichten zum Schweren
  • Vom Bekannten zum Unbekannten
  • Vom Einfachen zum Komplexen

Ausgehend von diesen Grundsätzen werden Bewegungen und Techniken erst in einfacher Form erlernt, um dann, nach Erreichen bestimmter Könnensstufen, den Schwierigkeitsgrad bis zur Zielform zu steigern. Wir versuchen also, unter einfachen Bedingungen (in der Ebene, auf der flachen Piste) zunächst die Grundtechniken zu erlernen und zu stabilisieren, bevor wir in anspruchsvolleres Gelände gehen.

 

Action approaches

Modernere Ansätze dagegen sehen in dem ständigen Wechselspiel von Informationsaufnahme und motorischer Aktion den Kern der Bewegungsregulation und damit auch des Bewegungslernens. Dieser sogenannte systemdynamische Ansatz fordert einen selbst organisierenden Lernprozess. Selbst organisierendes Lernen bezieht sich ausschließlich auf den Lernenden selbst, der aus eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten heraus Strukturen in seine Bewegungen bringt. Charakteristisch für diesen Ansatz ist ein nichtlineares Verständnis der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung sowie der Entstehung von Struktur bzw. Ordnung. Nichtlinearität bedeutet, dass schon geringste Veränderungen in den Systemen große Auswirkungen haben können (und umgekehrt). In der sportlichen Praxis zeigt sich dieses Phänomen beispielsweise im Verlauf des Trainingsprozesses. Während mühsame Übungsreihen oft praktisch erfolglos bleiben, kann die richtige Information zur richtigen Zeit wahre „Lernsprünge“ bewirken.

Mit dem „differenziellen Lehren und Lernen“ (Schöllhorn, 1999) hat sich in den vergangenen Jahren eine Methode etabliert, die auf dem systemdynamischen Ansatz des selbst organisierten Lernens aufbaut. Differenzielles Lernen macht sich die Notwendigkeit von Schwankungen für das Lernen in biologischen Systemen zunutze. Schwankungen sind Abweichungen von einem Bezugspunkt, also Differenzen. Aus ihnen erhält ein System Informationen, mit deren Hilfe es sich auf ständig verändernde Bedingungen einstellen kann.

Differenzielles Lernen ist darauf ausgerichtet, die Fähigkeit des Schülers zu verbessern, die für ihn optimalen Lösungen zu finden, indem er die Grenzen seiner Bewegungen selbst austestet. Ähnlich geht man beim variablen Lernen vor. Auch hier versucht man, durch ständige Variation der Bewegung das individuelle Optimum zu finden. Bekannte Übungen im Schneesport sind hier z. B. das Fahren mit Vor- und Rücklage. Beim differenziellen Lernen geht man noch einen Schritt weiter und schließt das Ausführen möglicher „Fehler“ in sämtlichen Kombinationen mit ein, was jedoch nicht bedeutet, dass ausschließlich „Fehler“ geübt werden. Durch das Austesten gegensätzlicher Möglichkeiten erfährt der Sportler den Bereich der möglichen Lösungen im unmittelbaren Vergleich mit den „Fehlern“.

 

Merke: Den Kern des differenziellen Lernens bildet das Lernen aus Differenzen mittels vielfältigster Übungen. Gezieltes Verstärken der Schwankungen während des Aneignungs- und Automatisationsprozesses soll zur Selbstorganisation führen.

 

Schöllhorn (2003, S. 58) nennt neben den Schwankungen, die durch das Nerv-Muskel-System bedingt sind, prinzipielle Variationsmöglichkeiten, durch die der Lernprozess von außen gefördert werden kann:

  • Unterschiede in der räumlichen Bewegungsausführung
  • Unterschiede in der raum-zeitlichen Bewegungsausführung
  • Unterschiede in der dynamischen Bewegungsausführung
  • Unterschiede im Rhythmus bzw. in der zeitlichen Bewegungsausführung
  • Lenkung der Aufmerksamkeit auf einzelne Aspekte der Bewegung

Werden im Rahmen einer methodischen Reihe vier Übungen ausgeführt, die einer zu erlernenden Bewegung immer näherkommen, so wird eine Übung erst mehrere Male wiederholt, bevor die nächste Übung in Angriff genommen wird. Variation im Sinne des differenziellen Lernens bedeutet hingegen, dass keine Übung zweimal hintereinander ausgeführt wird. Stattdessen wird ständig zwischen verschiedenen Übungen abgewechselt. Beide Arten von Variationen unterscheiden sich nicht hinsichtlich der Variationsbreite, die Variation hängt in beiden Fällen ausschließlich von der Anzahl der Übungen ab.

Differenzielles Lernen zielt demnach eher auf das Training der Anpassungsfähigkeit ab, die es erlaubt, bei weiteren Bewegungswiederholungen schnell und angemessen zu reagieren, als auf die zu erlernende Bewegung an sich.

Schöllhorn (1999) sieht in den Variationsmöglichkeiten auch Anhaltspunkte für die langfristige Gestaltung des Lernprozesses. Demnach sollte bei Einsteigern primär die räumliche Bewegungsausführung verändert werden, während bei Fortgeschrittenen eher die raum-zeitliche und bei Könnern die dynamische und zeitliche Bewegungsausführung variiert werden sollten.

Die Vertreter der verschiedenen Theorien und Ansätze führen nach wie vor zum Teil erbitterte Diskussionen über die Tragfähigkeit der jeweiligen Modelle (Künzell u. a., 2012). Die Darstellung der beiden grundsätzlichen Ansätze soll dazu anregen, das eigene Handeln ständig zu analysieren und im Bedarfsfall auf andere Konzepte zurückzugreifen.

Die Wahl der methodischen Herangehensweise sollte kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch sein. Es gibt hier kein grundsätzliches Richtig oder Falsch, sondern je nach Zielgruppe, verfügbarer Zeit, Aufgabenstellung und Könnensstufe kann und soll zwischen den Methoden gewechselt und können beide Ansätze zu Mischformen kombiniert werden.