Grundlagen Bewegungslehre

Wie lernen wir Bewegung?

Dieser Frage widmen sich Athleten, Trainer und Sportwissenschaftler seit Jahrhunderten, und doch ist es bislang nicht gelungen, eine allgemeingültige Theorie des Techniktrainings zu formulieren. Die unterschiedlichen Herangehensweisen und vor allem die lange unklaren physiologischen Mechanismen haben die Theoriebildung verhindert. Zudem führten die Besonderheiten der verschiedenen Sportarten dazu, dass Vermittlungskonzepte eher auf einzelne Disziplinen oder gar Bewegungen ausgerichtet wurden.

In der älteren Standardliteratur finden sich allgemeine Ansätze zum Techniktraining, die sich im Wesentlichen auf die Theorien der Bewegungskoordination und des motorischen Bewegungslernens stützen. Aktuellere Ansätze versuchen neueste Erkenntnisse der Gehirnforschung in die Theoriebildung mit einzubeziehen und stützen sich mehr auf neurophysiologische Begründungen. In jüngster Zeit hat der Begriff des differenziellen Lernens auch im Schneesport neue Bewegung in die Diskussion um das richtige Unterrichtskonzept gebracht.

 

Neurophysiologische Aspekte

Eine große Anzahl von Gehirnzellen (Motoneurone) ist für die Motorik verantwortlich. Durch entsprechende Verschaltung dieser Motoneurone können unterschiedliche Bewegungen generiert werden. Bei jeder Bewegung treten also viele Neurone miteinander in Verbindung und durch die richtige Kombination entsteht die optimale Bewegung. Dieser Prozess ist jedoch kein festgelegter, unveränderbarer Steuerungsvorgang, sondern ein ständig aktiver, sich verändernder Regelkreis. Man spricht deshalb auch von Bewegungsregulation. Zu fast jedem Zeitpunkt der Bewegung werden Informationen über unser Sinnessystem aufgenommen und die Bewegung entsprechend reguliert.

Auch und gerade im Schneesport müssen wir unsere Bewegungen ständig an die wechselnden Bedingungen anpassen. Dazu müssen wir die dafür notwendigen Informationen schnell und effektiv aufnehmen und verarbeiten.

Aufgenommen werden diese Informationen über die fünf Sinnesorgane der Sensorik:
 

Optischer Analysator (Das Auge)

Informationen über räumlich-zeitliche Umweltveränderungen, Körperbeziehung zum Raum, räumliche Beziehung zu einem Gerät und dessen Verlauf, Bewegungsverhalten von Mit- und Gegenspielern und der eigene Bewegungsverlauf werden über das Auge aufgenommen. Im Schneesport ist der optische Sinn besonders für die Wahrnehmung der Umgebung entscheidend (andere Sportler, Hindernisse, Gelände etc.).
 

Akustischer Analysator (Das Ohr)

Das Ohr ist für die Übermittlung von Orientierungssignalen („Hop!“), bewegungsbegleitenden Hilfen (Rhythmusvorgaben), Bewegungsverhalten (z. B. „schwerer Schritt“, „Rutschen“), Zuschauerverhalten, Bewegungsverstärkungen, technische/taktischen Absprachen zuständig. Im Schneesport ist der akustische Analysator nicht zu unterschätzen. Schon das Rauschen des Fahrtwindes trägt zur Einschätzung der Geschwindigkeit bei. Aber auch über die Qualität meiner Technik erhalte ich vom akustischen Analysator eine Rückmeldung, denn ein geschnittener Schwung hört sich anders an als ein gedrifteter.
 

Taktiler Analysator (Die Haut)

Hinweise zum Druck (Gerät, Gegner, Fußsohle, Schienbein), zu bewegungsbegleitenden Umständen (Wind), Geschwindigkeit, Beschleunigung werden über die Haut wahrgenommen. Im Schneesport liefert der taktile Analysator wichtige Informationen über unsere Position auf dem Ski oder Snowboard. Über Fußsohle, Schienbein und Wade bestimmen wir Druck- und Belastungsverhältnisse. Aus diesem Grund sind eng anliegende Schuhe wichtig, um diesen Sensor optimal nutzen zu können.
 

Vestibulärer Analysator (Das Gleichgewichtsorgan)

Der Gleichgewichtssinn erlaubt uns, Beschleunigungen des Kopfes in unterschiedliche Richtungen zu erfassen und, in Kombination mit anderen Wahrnehmungen (z.B. Muskelspannung, Auge, etc), das Gleichgewicht zu regulieren. Durch ständige dynamische, dreidimensionale Bewegungen im Raum ist das Gleichgewichtsorgan beim Schneesport stark gefordert (Anpassung der Körperposition in der Kurve).
 

Kinästhetischer Analysator

Vermittlung von Informationen zur Muskellänge und Gelenkwinkelstellungen. Im Wesentlichen verantwortlich für das Gefühl von Bewegung, Untergrund, Gerät etc.. Im Schneesport und in den meisten anderen Sportarten ist das die wichtigste Informationsquelle zur Bewegungsregulation. Den Druck, den wir in der Kurve spüren, die Spannung in der Oberschenkelmuskulatur, wenn wir in Rücklage geraten, die Belastung des Rumpfes (z. B. des Rückens) in der Buckelpiste, all das nehmen die Rezeptoren des kinästhetischen Analysators in unserer Muskulatur auf. Da diese Rezeptoren in allen Muskeln, Sehnen und Bändern unseres Körpers vorhanden sind, liefert dieser Analysator uns auch die meisten und schnellsten Informationen.

 

Auslöser für eine Bewegung können Signale von außen (Aufforderung, Reiz) oder innerer Antrieb (Motivation) sein. Je nach Signal verfügen wir über eine entsprechende Bewegungsvorstellung oder -erfahrung und können die geeigneten Motoneurone verschalten und die Bewegung initiieren. Durch unsere Sensorik erkennen wir, wann und wie wir die Bewegung anpassen, bzw. variieren müssen. Gerade die Nutzung der taktilen Informationen der Haut und der kinästhetischen Rückmeldungen aus der Muskulatur sind für den Schneesport von großer Bedeutung. Zum einen erlauben sie durch ihre Vielzahl eine sehr feine Bewegungsregulierung, zum anderen können dadurch andere Systeme wie das Auge entlastet und für andere Informationen (andere Sportler, Gelände etc.) genutzt werden.
 

Merke

  • Das Sensorium des Körpers ist extrem leistungsfähig
  • Ziel ist das möglichst effektive Zusammenspiel von Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung
  • Das Gehirn ist bei der richtigen Verschaltung entsprechender Motoneurone von zentraler Bedeutung
  • Im Lernprozess sollte unbedingt immer wieder auf die Körperempfindungen des Schülers eingegangen werden